Wer von uns kennt sie nicht? Die Angst, die in einem hochkriecht, die Kehle zu schnürt, die eng macht und uns manchmal sogar erstarren lässt. Das Wort Angst stammt von der indogermanischen Wurzel „Angh“ ab und bedeutet eng. Diese Enge spüren wir bei Angst oft auch im Brustraum, wir können nicht mehr frei atmen.
Manchmal ist die Angst aber auch viel subtiler und macht sich nur leise und unterschwellig in uns bemerkbar. Vielleicht verdrängen wir sie oder wollen sie nicht wahrhaben, häufig mit dem Resultat, dass sie sich in Alpträumen oder plötzlich in einer heftigen Gefühlsreaktion erst recht bemerkbar macht.
Angst zu haben, ist weder ein angenehmes Gefühl noch eine sozial angesehene Eigenschaft. Im Volksmund wird ein ängstlicher Mensch abwertend Angsthase oder Hasenfuß genannt. Es heißt aber auch, die Angst verleihe Flügel, in dem Sinn, dass sie beflügelt, kreative Lösungen und neue Herangehensweisen ermöglicht.
Hilft die Angst also in schwierigen, ungewohnten Situationen eine passende Lösung zu finden oder lähmt sie, macht sie handlungsunfähig, kopflos? Beides ist möglich. „Wo die Angst ist, da ist der Weg“ sagt ein japanisches Sprichwort. Hat die Angst also auch Sinnvolles an sich, außer uns vor einer Gefahr zu warnen? Kann sie sogar ein wichtiger Wegbereiter und Begleiter sein?
Der bekannte Psychoanalytiker Fritz Riemann hat sich in seinem Buch „Grundformen der Angst“ ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt: „Im Annehmen der Angst und im Versuch sie zu überwinden, wächst uns ein neues Können zu – jede Angstbewältigung ist ein Sieg, der uns stärker macht, jedes Ausweichen vor ihr ist eine Niederlage, die uns schwächt“.
Je mehr wir also bereit sind, uns mit unseren Ängsten bewusst auseinander zu setzen, desto weniger besteht die Gefahr, dass wir ihnen ausgeliefert sind, von ihnen unbewusst beeinflusst werden und umso mehr besteht die Möglichkeit uns zu stärken. Wir entwickeln mehr Lebenskompetenz und können unser Leben letztlich freier und weniger ängstlich leben. Wir erweitern unsere Komfort-Zone und betreten die „Komm-vor-Zone“.
Angst kann uns aber auch lähmen und erstarren lassen, manipulieren, den eigenen Schatten wie z.B. Aggressionen auf andere projizieren lassen, sich z.B. in Fremdenfeindlichkeit äußern, kopflos und sogar verrückt machen. Angst als machtvolle Emotion ist ein starkes Instrument zur Manipulation, sie spaltet Gesellschaften und Populisten bedienen sich der Angst zur Durchsetzung ihrer Interessen. Das sind die Schattenseiten der Angst.
Auch Aerosole in unserer Luft verbreiten seit Monaten Angst in unserer Gesellschaft. Menschen gehen sehr unterschiedlich damit um, einige bagatellisieren und verdrängen die Gefahr, andere reagieren hysterisch darauf und alles dreht sich nur mehr um Masken, Hygienemaßnahmen und Statistikzahlen. Kurz nach Ausbruch von Covid-19 haben die Hamsterkäufe von Toilettenpapier veranschaulicht, wieviele sich sprichwörtlich vor Angst „angemacht“ haben.
Häufig fehlen der differenzierte Zugang und ein umfassender, vernünftiger Blick auf die Gesellschaft als Ganzes. Wirtschaftliche, gesundheitliche und demokratiepolitische Kollateralschäden entstehen durch zu viel Panik und Panikmache. Die Pandemie ist ein gegenwärtiges Beispiel für Angst auf kollektiver Ebene, denn sie löst in uns allen etwas aus, auch Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust. Das Resultat ist noch mehr Angst.
Auch wenn sich Angst unangenehm anfühlt, so ist sie doch unausweichlich und die bewusste Auseinandersetzung mit ihr macht Sinn. Zu einem gelungenen Leben gehört auch ein gelungener Umgang mit der Angst. Die Angst vor dem Leben mit seinen Höhen und Tiefen verringert sich im Ausmaß unserer Fähigkeit mit unserer Angst zu leben. Wesentlich dabei ist, dass wir uns mit ihr konfrontieren, sie hinterfragen, wir uns nicht durch sie kontrollieren und unbewusst steuern lassen. Freunden wir uns also an mit unserer Angst, blicken ihr mutig ins Auge und gehen wir mit ihr in den Dialog.